Frau Hannelore Kraft, ihres Zeichens Sozialdemokratin und Spitzenkandidatin in NRW, hat sich in den letzten Tagen mit dem Vorschlag nach vorne gemischt, den Arbeitslosen ihre Würde zurück geben zu wollen – schöne Idee, schönes Wort vor allem, diese Würde. Klingt auch direkt ganz anders als die würdelose Malocht-mal-Ihr-Säcke-Attitüde des selbsternannten Hartz-IV-Sonderermittlers Westerwelle. Bei Schneeschippen gegen Vorlesen im Altenheim liegt ja wohl auch Vorlesen ganz klar vorne, oder? Schließlich sind wir das Volk der Dichter und Denker. Und was könnte da nicht alles Tolles Vorgelesen werden? Unser Blog zum Beispiel. Acht Stunden am Tag, fünf Tage die Woche. Landauf, landab. Reich-Ranicki hätte seine Freude dran.
Kritiker sagen natürlich, dass „würdevolle“ Arbeit reguläre Jobs vernichtet. Man muss also schauen, dass man für Hartz IVler Tätigkeiten findet, die bislang von der arbeitenden Bevölkerung nicht erledigt werden. Ein strategisches Problem. Aber es gibt natürlich immer eine Lösung. Irgendwo hab’ ich hierzu die schöne Formel gehört: Die Sinnlosigkeit eines Jobs ist direkt proportional zur Unbedenklichkeit für den Arbeitsmarkt. Klingt kompliziert, und deswegen erklär ich es besser noch einmal. Nicht zuletzt, wenn ich an meinen Kollegen Bimmel denke, der das hier liest.
Also ein Beispiel: Jeder ist in Berlin schon mal U-Bahn gefahren. Man sitzt da, wird von den holprigen Gleisen leicht durchgeschockelt, liest ein Buch, hört iPod oder unterhält sich mit seinem Nebenmann. Die Welt scheint in Ordnung. Friede herrscht. Kurz bevor die Türen schließen, springt ein unscheinbares Männchen in den Wagon, wartet, bis der Letzte sich gesetzt hat, hebt Stimme und Hand und legt los: „Hey Leute, mein Name is Chris und ick leb' seit dreieinhalb Jahren unter Harz IV Niveau. Zusammen mit meinen Freunden spiel ick nebenher in’ner Band. Aber das reicht einfach nich. Deswegen verkoof ick hier die Motz. Würd’ mir freuen, wenn Ihr mir eine abnehm’ würdet. Kostet zwee Euro. Een Euro geht dabei an mich. Ey Leute, kooft die Motz!?!“
Motz verkaufen ist also komplett sinnlos und damit ungefährlich. Kein Mensch hat das Ding jemals gelesen. Da könnten Mohamed-Karikaturen mitten in Kreuzberg drin verkauft werden, niemand würd’s mitbekommen. Motzverkaufen entspricht damit absolut unserer Formel. Bedroht auch keinen, Zeitungen liest schließlich eh keiner mehr – hab ich gehört. Und wo könnte die Motz nicht noch alles an den Mann gebracht werden? Alle haben doch ihre U-, Straßen- oder Schwebebahnen.
Oder könnte da jemand auf dumme Ideen kommen? Nicht in Form der Motz natürlich, aber das Prinzip, dass kommt mir...lieber noch mal überlegen: Man (in unserem Beispiel Chris) quatscht Leute (Mitfahrer), die gerade in einem sozialen Raum (U-Bahn) schön in Ruhe Zeit mit sich oder einander verbringen, hirntot von der Seite an und versucht ihnen was anzudrehen, was sie gar nicht brauchen. Ist das nicht ein Geschäftsmodell, dass, wenn man es nur tüchtig-wichtig aufbläht, noch ganz andere Dimensionen hat? Ihr glaubt nicht? Ich glaub schon! Aber dann wären gerade die sinnlosesten Jobs am proportional bedenklichsten für den Arbeitsmarkt!
Freitag, 12. März 2010
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